Partizipation als Chance und als Herausforderung

Warum ein neues Positionspapiers für die Co-Creation in EU-geförderten Forschungsprojekten wichtig ist

Juni 4, 2025 | News

Warum dieses Positionspapier wichtig ist – und warum wir darüber nachdenken

Ein kürzlich veröffentlichtes Positionspapier, Partizipation als Zu-Mutung, bietet eine kritische und konstruktive Analyse der systemischen Mängel, die partizipative Forschung behindern – insbesondere in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Er skizziert 13 strukturelle Barrieren, die oft verhindern, daß die Beteiligung von Stakeholdern sinnvoll, effektiv und nachhaltig ist. Diesen werden mögliche Entwicklungsrichtungen als konkrete Handlungsempfehlungen zur Verbesserung von Förderstrukturen, Logiken der Evaluation und ethischer Standards entgegen gestellt. Das Paper ist damit nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch für die europäische F&E-Politik von großer Bedeutung.

Wo Horizon Europe ansetzt – und wo Lücken bestehen

Erkenntnisse aus EU-Projekten in Horizont Europa, Horizont 2020 und FP7

Bei ARTTIC Innovation kennen wir viele dieser Herausforderungen aus unserer Erfahrung mit Horizont Europa (HE), Horizont 2020 (H2020) und FP7-Projekten.

Auch wenn wir selbst keine partizipativen oder Co-Creation-Prozesse leiten, arbeiten wir eng mit Partnern zusammen, die dies tun – indem wir die strategischen, administrativen und kommunikativen Rahmenbedingungen für die Beteiligung gestalten.

Durch unsere Arbeit in den Bereichen Antragserstellung, Unterstützung der Koordination, Verbreitung, Kommunikation, Verwertungsplanung und Stakeholder-Engagement befinden wir uns an der Schnittstelle zwischen Forschungsteams, gesellschaftlichen Akteuren und institutionellen Geldgebern. So erhalten wir Einblick in das Spannungsfeld zwischen partizipatorischen Ambitionen und strukturellen Einschränkungen. In den Projekten, an denen wir beteiligt waren – darunter AGILE, R2D2-MH, DRIVER+, CURSOR und andere – haben wir sowohl das transformative Potential als auch die systemischen Spannungen beobachtet, denen partizipative Ansätze in der Praxis begegnen.

Das Engagement wird oft ausgehöhlt, wenn:

  • die Projekte nicht flexibel genug sind, um sich an die Bedürfnisse der Beteiligten anzupassen
  • die Finanzierung für wichtige Koordinierungs-, Übersetzungs-, Moderations- und Beziehungsarbeit unzureichend ist
  • Evaluierungsrahmen nicht-technische Ergebnisse wie Vertrauensbildung oder gelebte Erfahrungen unterbewerten
  • Die Projektzeiträume sind zu kurz für ein langfristiges Engagement. Dadurch wird die allmähliche Entwicklung von Vertrauen und Eigenverantwortung unter den Partnern in der Gemeinschaft eingeschränkt

Ein aktueller Impuls, der auf interdisziplinärem Fachwissen beruht

Das Paper wurde von über 30 Wissenschaftler*innen gemeinsam entwickelt und durch die VolkswagenStiftung gefördert. Es vereint interdisziplinäres Fachwissen aus den Sozial- und Kulturwissenschaften, dem Gesundheitswesen, der Bildung und dem Technologiedesign – und liefert wissenschaftlich fundierte, politikrelevante Hinweise zur Verbesserung partizipativer Forschungssysteme in ganz Europa.

Positionspapier Partizipation
Positionspapier analysiert nationale Förderlogiken (DFG, BMBF, FWF, SNF)

Projektüberbreifende Herausforderungen, die wir beobachtet haben

Viele Projekte haben zwar gezeigt, wie Co-Creation sinnvoll in die EU-Forschung eingebettet werden kann, insbesondere in technischen und politikorientierten Kontexten. Wir stellen aber immer wieder Einschränkungen fest:

  • Co-Creation wird eher als ergänzende Methode betrachtet, anstatt als Hauptmethode – insbesondere im RP7 und im frühen H2020
  • Projektformate bieten nur begrenzte Flexibilität
  • Budgets sind nicht ausreichend für Beziehungs- und Übersetzungsarbeit
  • Evaluierungs- und Berichtsstrukturen berücksichtigen nicht-technische partizipative Ergebnisse nicht angemessen

Diese Erfahrungen haben beeinflußt, wie wir mit Konsortien zusammenarbeiten, um Projekte zu konzipieren und durchzuführen, die besser auf die sich entwickelnden partizipatorischen Ziele abgestimmt sind – viele davon sind in Horizont Europa nun deutlicher sichtbar.

Wo liegen die Problemfelder?

In dem Papier werden 13 systemische Herausforderungen beschrieben, von denen sich viele mit dem decken, was wir und unsere Partner in EU-Projekten sehen:

  • Unsichtbare Arbeit: Kommunikations-, Übersetzungs-, Betreuungs- und Vermittlungsarbeit sind wichtig, werden aber nicht finanziert
  • Starre Leistungsvorgaben: Vordefinierte Projektpläne passen nicht zu ergebnisoffenen Prozessen
  • Vermeidung von Konflikten: Partizipation wird oft als harmoniefördernd angesehen und nicht als Plattform für produktiven Dissens
  • Kurzfristigkeit: Vertrauensaufbau ist mit Projektzyklen von 2–3 Jahren kaum vereinbar
Das Papier nennt 13 systemische Herausforderungen

Warum dies über nationale Kontexte hinausgeht

Das Positionspapier konzentriert sich zwar auf die nationalen Forschungssysteme in Deutschland (DFG, BMBF, VolkswagenStiftung) und die Erfahrungen aus dem deutschsprachigen Österreich (FWF) und der Schweiz (SNF), doch die Erkenntnisse des Positionspapiers gelten weitgehend für Horizont Europa 2025-2027. Trotz der Fortschritte, die Horizont Europa auf dem Weg zu einer integrativen, wirkungsorientierten Forschung gemacht hat, bestehen nach wie vor strukturelle Hindernisse für eine sinnhafte Partizipation – selbst im Vergleich zu nationalen Programmen. Auffällige Muster sind insbesondere bei den folgenden Clustern zu erkennen:

  • Cluster 1 – Gesundheit: Starke politische Unterstützung, die das Engagement von Bürger*innen und Patient*innen betont, aber noch begrenzte Flexibilität in der Praxis
  • Cluster 2 – Kultur, Kreativität, integrative Gesellschaft: Die Ziele der Partizipation sind klar, aber die Rahmenbedingungen erlauben noch keine gemeinschaftsgeleitete Forschungsdynamik über den gesamten Lebenszyklus eines Projekts
  • Cluster 3 – Zivile Sicherheit in der Gesellschaft: Zunehmendes Bemühen um Weitsicht, Einbeziehung vulnerabler Gruppen und lokale Lösungen für die Sicherheit, aber oft zweitrangig gegenüber technischen oder operativen Zielen
  • Cluster 5 – Klima, Energie & Mobilität: Vielversprechende Pilotprojekte mit sieben Themen im Jahr 2025, die jedoch erst am Anfang stehen
  • Cluster 6 – Ernährung, Bioökonomie, natürliche Ressourcen, Landwirtschaft und Umwelt: Förderung von Modellen mit mehreren Akteuren, z. B. für die gemeinsame Gestaltung mit ländlichen, bäuerlichen oder indigenen Gemeinschaften, aber mit zu wenig Mitteln

 

EU-Programme

Empfehlungen, die wir befürworten

Von den 13 Empfehlungen des Papiers sind die folgenden für künftige EU-Programme besonders relevant:

  • Anpassung der Beteiligung an die Projektphasen – nicht alle erfordern ein umfassendes Co-Design
  • Kommunikations-, Fürsorge- und Koordinationsarbeit als zentral anerkennen und finanzieren
  • Unterstützung einer proaktiven, von unten nach oben gerichteten Mitgestaltung der Forschungsagenden
  • Bewertungskriterien, die sich an der partizipativen Logik orientieren – anstatt sich auf traditionelle akademische Metriken zu verlassen
  • Akzeptanz von Meinungsverschiedenheiten als legitim und produktiv
  • Ausstattung von Partnern an der Basis mit angemessenen und flexiblen Finanzinstrumenten – und nicht nur mit Unteraufträgen -, um sicherzustellen, daß sie in vollem Umfang teilnehmen, einen Beitrag leisten und gegebenenfalls die Führung übernehmen können

Wie wir einen Beitrag leisten

Diese Grundsätze stimmen mit unserem Vorgehen überein, d. h. wir unterstützen Konsortien bei der Entwicklung realistischer, integrativer Rahmenbedingungen von der Vorschlagsphase bis zur Umsetzung. Wir unterstützen Konsortien dabei, realistische, inklusive Strukturen zu planen und umzusetzen. In diesen Kontexten bringen wir von ARTTIC Innovation unser Fachwissen ein:

  • Praktische Unterstützung bei Projektmanagement und Koordination
  • Enge Zusammenarbeit mit Partnern
  • Strategische Informationsverbreitung und Kommunikation
  • Stakeholder Engagement und strategische Planung von Verwertungspfaden

Wir arbeiten eng mit Partnern zusammen, die partizipative Aktivitäten durchführen, um die Sichtbarkeit, Akzeptanz und den langfristigen Impact der Ergebnisse zu gewährleisten.

Fazit: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt

Partizipation ist kein Kriterium, das man abhaken kann. Es handelt sich um eine anspruchsvolle, aber lohnende Form der Forschung, die die richtigen Bedingungen erfordert – strukturell, finanziell und ethisch.

Partizipation als Zu-Mutung untermauert wissenschaftlich, was viele Praktiker*innen bereits wissen – und gibt politischen Entscheidungsträgern, Geldgebern und Peer-Institutionen eine konkrete Handlungsgrundlage.

Wir glauben, daß es an der Zeit ist, von der „Einladung zur Partizipation“ zur Verankerung als operativer Standard in der europäischen Forschung überzugehen.

Ressourcen

Über diesen Artikel

Dieser Artikel spiegelt die Perspektiven und Projekterfahrungen von ARTTIC Innovation wider – basierend auf unserer langjährigen Beteiligung an europäischen F&E-Projekten mit Fokus auf Stakeholder Engagement, Partizipation und Co-Creation sowie strategische Verwertungsplanung.

Er wurde gemeinsam entwickelt von: Tanja Oster, Chloé Scordel, Claudia Speiser, Andreas Seipelt, Balazs Kern und Karin Rosenits.

Erfahren Sie mehr über unser Team: https://www.arttic-innovation.de/arttic-team/

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